Beitrag von Wolfgang Geisler

Bundesnetzwerk Europaschule e.V. - Oder: Warum man es erfinden müsste, wenn es nicht schon erfunden worden wäre

Selbstverständlich ist das nicht: Die Europaschulen haben in den letzten Jahren in der Bunderepublik einen erfreulichen Aufschwung erlebt. Fast überall sind viele neue Europaschulen gegründet bzw. zertifiziert worden. Zudem haben neun Bundesländer (Berlin, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen) gemeinsame Kriterien für die Vergabe des Titels „Europaschule“ entwickelt.

Mit der Durchsetzung dieses Kataloges für Europaschulen in einer „länderoffenen Arbeitsgruppe“ der Kultusministerkonferenz wurden wesentliche Voraussetzungen geschaffen für die nachhaltige Etablierung dieses Schultyps. Entstanden ist eine Zusammenstellung notweniger Anforderungen an Gründung und Entwicklung von Europaschulen, die diesen Namen verdienen. Nützlich gerade für jene Bundesländer, die sich hoffentlich bald anschließen werden oder möglicherweise auch für neue Formen internationaler Schulen, die grenzüberschreitende Bildungsangebote machen.
Die Initiative zu einer solchen positiven Entwicklung und zur Stärkung des zukunftsweisenden Schulprofils „Europaschule“ ging nicht zuletzt vom 2004 in Berlin gegründeten „Bundesnetzwerk Europaschule“ aus. Sein Ziel ist es, die Schulen und deren Vertreter miteinander zu vernetzen, zu stärken und dafür zu sorgen, dass sie als europäischer Motor im deutschen Schulsystem wirksam werden und die Dinge voranbringen können.
Der Grundgedanke des Bundesnetzwerks: Explizit europäisch gedachte, definiv europäisch formulierte Schulen helfen Schülerinnen  und Schülern, sich in der Welt zu bewähren - neugierig geworden auf Länder und Städte, auf Welt und Mensch in Projekten jenseits des allzu Bekannten. Aber solche Absicht braucht ihrerseits Unterstützung. Das Bundesnetzwerk berät und unterstützt jene, die Europaschule „machen“, indem es sie in Verbindung bringt. Denn überall in der Republik sehen Europaschulen ein bisschen anders aus, und nicht überall bilden sie einen festen Verbund.

Zum Zweck des Austauschs über Ländergrenzen hinweg veranstaltet das Netzwerk alle zwei Jahre einen großen Kongress – natürlich mit europäischen Gästen. Die bisherigen Treffen fanden in Sachsen-Anhalt, Hessen, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Hamburg/ Schleswig-Holstein statt. Mehrere Hundert Europaschul-Verantwortliche haben sich bisher zu solchen Veranstaltungen getroffen, miteinander gearbeitet, sich besser kennengelernt und ihre pädagogische Arbeit gegenseitig befruchtet. In der Regel endeten die Tagungen mit der Verabschiedung programmatischer Erklärungen 8an die Adresse der bildungspolitisch Verantwortlichen über die nächsten Schritte der „Europaschul-Bewegung“.

Das Bundesnetzwerk versucht, auf vielen Ebenen Unterstützer für die europäische Arbeit in den Schulen zu finden und auf Leistungen aufmerksam zu machen, die unserer gemeinsamen europäischen Zukunft dienen. „Unserer Hoffnungen gründen auf eine neue Generation junger Europäer“, steht auf dem vom Mannheimer Künstler Rainer Negrelli entworfenen Preis der deutschen Europaschulen, der 2020 zum ersten Mal in Berlin vergeben wurde. Und zwar an den Präsidenten der Berliner Humboldt-Universität und früheren Kultusminister des Landes Sachsen-Anhalt Prof. Dr. Jan-Hendrik Olbertz, der in der Konferenz der Kultusminister viel getan hat für die Durchsetzung der Europaschul-Richtlinie. Der Preis wird alle zwei Jahre vergeben. Preisträger 2012 wird Hans-Dietrich Genscher sein.

Arbeit für Europa ist weiterhin nur langfristig denkbar und Selbstverständlichkeiten sind rar. Ganz sicher wird das Europa der Zukunft anders aussehen, als wir es uns heute denken. Wie, das hängt wesentlich davon ab, wie die neue Generation sich zu Europa stellen wird. Und das wiederum heißt: Europa bleibt eine pädagogische Aufgabe. Europaschulen werden sich sobald nicht überleben.

Notwendig bleiben sie als Zentren interkulturellen Lernens und europäischer Begegnung. Vermittel sie doch unter andrem:

•    Möglichkeiten interkultureller Arbeit,
•    neue Formen methodischen Lernens,
•    Medienkompetenz für junge Leute, die an Europaschulen als Zentren internationaler Kommunikation besonders gefördert werden,
•    Studien- und Berufsvorbereitung und -orientierung in einer globalisierten Welt ,
•    Eigenständigkeit und Selbstverantwortung von Schülern durch Projekte des interkulturellen Dialogs,
•    Zivilcourage und Toleranz,
•    Offenheit und Aufgeschlossenheit als europäische Schlüsselqualifikation,
•    die Wertegemeinschaft der europäischen Völker,
•    Sprachen als Voraussetzung interkulturellen Dialogs,
•    Schulentwicklung als gemeinsame Arbeit der Schulgemeinde.

Ohne die Einbeziehung von Bildung und Erziehung wird es nicht gelingen, für Europa eine Zukunftsperspektive zu entwickeln. Weder in staatlich-gesellschaftlicher noch in ökonomischer Hinsicht kann dies glücken. Es bedarf vielmehr des Versuchs, die europäische Dimension des Lernens im Rahmen eines umfassenden Ansatzes interkulturellen Lernens in Theorie und Praxis zu verankern

Euroaschulen wollen Entwicklungswerkstätten dieses Prozesses sein. Und ihr Bundesnetzwerk wurde gegründet, um ihnen dabei zu helfen.


Wolfgang Geisler

(Leicht aktualisierte Fassung eine Beitrages, erschienen in: Michael K. Koch u.a. (Red.): Hessische Europaschulen. Ein Schulentwicklungsprogramm des Landes Hessen, Wiesbaden: Hessisches Kultusministerium 2010, S. 49f)